Der Nahostkrieg zwischen religiöser und politischer Deutung

Ein Text von Jörgen Klußmann

Die erneute Zuspitzung im israelisch-palästinensischen Konflikt durch die grausamen Terrorattacke der Hamas hat weitreichende Folgen und das nicht nur auf der politischen Ebene. Die Hamas und ihre Verbündeten verbrämen ihren Kampf religiös und stilisieren ihn als Armageddon zwischen den „Mächten des Teufels“ und den „aufrechten Streitern Gottes“ hoch. Diese Deutung verfängt sich bei einem nicht unwesentlichen Teil der Muslime weltweit und äußert sich vor allem in anti-israelischen, antisemitischen und antiamerikanischen Protesten. Die Terroristen wollen Frieden verhindern und ihr Handeln führt zu einer ungeheuren Emotionalisierung und Polarisierung. Es ist ihr Kalkül, den bewaffneten Kampf in die nächste Generation zu tragen und insbesondere junge Menschen zu radikalisieren.

Diese einseitige religiöse Deutung geht aber an der Realität vorbei, handelt es sich doch in erster Linie um einen Konflikt um das Land. Die Hamas negiert das Existenzrecht Israels. Auf israelischer Seite strebt die rechte Siedlerbewegung nach einem Großisrael. Die Perspektive einer Zweistaatenlösung wollen die radikalen Kräfte auf beiden Seiten nicht.

Furchtbare Folge der Ereignisse ist das Leiden der Zivilbevölkerung. Das kann niemanden unberührt lassen. Feuerpausen und humanitäre Lieferungen nach Gaza sind dringend notwendig.

Die Entwicklung hat auch gravierende Folgen für die Jüdinnen und Juden in Deutschland. In dieser Zeit im November wird in Erinnerung an die Taten der Nationalsozialisten auf schreckliche Weise deutlich, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder wachsenden Gefahren ausgesetzt sind. Der Antisemitismus greift erneut um sich. Hier vermischen sich neue mit alten Formen. Jüdische Jugendliche haben Angst zur Schule zu gehen, sich als Jüdinnen und Juden erkennen zu geben. Die Stimmung ist bedrückend und Befürchtungen werden wieder Wirklichkeit. Klar muss sein: Antisemitismus hat hier keinen Platz.

Neben einem signifikanten Anstieg antisemitischer Übergriffe und Proteste geraten auch liberale islamische Projekte wie die Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin unter erheblichen Druck, die Drohungen nehmen zu. Weil sie für einen weltoffenen Islam und eine Aussöhnung mit Israel und gegen Antisemitismus eintreten, sind sie zu potenziellen Angriffszielen radikaler Islamisten geworden.

Für das Engagement der internationalen Gemeinschaft aber auch das der Kirchen, religiöser Gemeinschaften und der Nichtregierungsorganisationen, die sich um eine Annäherung und Aussöhnung bemüht haben, bedeutet es eine immense Herausforderung für die kommenden Jahre, die langfristige Arbeit der Versöhnung weiter zu gestalten.

Wenn es um die Bewältigung des Leids geht, muss sich eine Aufarbeitung zu allererst mit den Opfern befassen. Dies allein wird schon schwer und schmerzhaft sein und nicht jeder wird sich dieser schweren Aufgabe stellen, denn für viele steht eher der Wunsch nach Vergeltung und Rache im Vordergrund. Wie kann es also gelingen, zu einer erneuten Annäherung zu kommen?

Auch für den interreligiösen Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen ist dies eine ungeheure Aufgabe. Und doch gibt es dazu keine Alternative. Dazu bedarf es einer glasklaren Analyse, die zwischen den politischen und religiösen Dimensionen des Konflikts scharf zu trennen weiß.

Eine langfristige politische Lösung des Konflikts ist durch die Gewalteskalationen noch schwieriger geworden. Die radikalen Kräfte erhalten weiter Auftrieb und bestimmen damit den Grundtenor der Auseinandersetzungen.

Eines ist jedoch gewiss: Frieden wird es in Israel und Palästina nur dann geben, wenn er auf einer langfristigen Arbeit des Ausgleichs, des Kompromisses und der gegenseitigen Akzeptanz beruht.

13.11.2023

 

Text der Evangelischen Akademien in Deutschland: NIE WIEDER IST JETZT  

Text der Evangelischen Akademien in Deutschland: Solidarität mit Israel. Zum Terrorangriff der Hamas

  • 13.11.2023
  • Red